Out of Hands.

Architekturstudenten entwickeln Modelle für die Zukunft des Handwerks

Zehn Studierende des Instituts für experimentelle Architektur ./studio3 der Universität Innsbruck untersuchten unter der Leitung von Christian Dummer und Raffael Schwärzler in Zusammenarbeit mit dem Verein Netzwerk Handwerk neue Ansätze für das Handwerk und die Architektur und deren Auswirkung auf unsere Lebensräume. Die spannenden Ergebnisse dieser Betrachtungen waren vom 8. bis 10. Juli in einer Ausstellung in der Galerie am Polylog in Wörgl zu sehen.

Welchen Stellenwert hat Handwerk in der Zukunft? Und welche Rolle wird es künftig in unserer Gesellschaft spielen? Und wie kann Handwerk wieder in die – auch räumlich gesehen – Mitte der Gesellschaft, also in die urbanen und dörflichen Räume zurückfinden? Diesen und anderen Fragen gingen die 10 Architekturstudenten in ihrer Ausstellung nach. Out of Hands? Diese Frage wurde im doppelten Wortsinn gestellt: Wo muss oder kann Handwerk, also Arbeit “out of hands” stattfinden – in der Peripherie, in der Stadt, im Ort? Wie und wo kann Wissen weitergegeben werden? Kann Handwerk durch Architektur sichtbar werden? Oder ist das Handwerk in der schnelllebigen Konsumwelt bereits der Arbeits- und Alltagsrealität entglitten – also wirklich “out of our hands”, also außer Kontrolle?

Institutsleiterin Kathrin Aste freute sich, dass diese wertvolle Kooperation zwischen Handwerk und Architektur zustande gekommen ist und dass die studentischen Ideen und Visionen gerade auch außerhalb von Innsbruck öffentlich ausgestellt und zur Diskussion gestellt werden. Ideen, die sich um mögliche konkrete Nutzungen ebenso drehen wie um Fragen der Materialität. Zwischen rein visionär, architekturphilosophisch und konkret bewegte sich das Spektrum der Arbeiten, die neben Plänen, Skizzen und Visualisierungen auch als Modelle präsentiert wurden. Es wurden dabei Konzepte und Ideen zu Betriebsstätten verschiedenster Gewerke erarbeitet: Glasmacher, Spielzeugbauer, Gerber, Instrumentenbauer, Ölschläger (Leinölpresser), Holzbau, Steinbruch, Tischler.

Eindrucksvoll zeigte sich die Umsetzung von Plänen in 3D bzw. Visualisierungen mit VR-Brillen – ein Beispiel, welche Möglichkeiten der Bereich Digitalisierung auch im Handwerk eröffnet.

Die Nähe von Handwerk und Architektur liegt – man möchte fast sagen: auf der Hand. Und dennoch wird diese Nähe kaum öffentlich wahrgenommen, die beiden Sparten des Bauwesens sind in den letzten Jahrzehnten geradezu auseinandergedriftet: hier das bodenständige, konservative, bedächtige Handwerk – dort das Bild der akademischen, innovativen, elitären Architektur. Dabei ist Architektur ohne Handwerk nicht möglich – noch vor 100 Jahren wurde das im Bauhaus als selbstverständlich gesehen: hier stand Architektur und Handwerk gleichberechtigt nebeneinander. Zwar auch damals ein revolutionärer Ansatz, der aber in der Tradition des mittelalterlichen Bauwesens Planung und Ausführung auf Augenhöhe sieht.

Hier setzte der Startpunkt des von den beiden Architekten Christian Dummer und Raffael Schwärzler geleiteten studentischen Projektes an: mit der Erforschung eines Archivs, welches knapp 1200 Darstellungen von Herstellungsverfahren und Handwerkserzeugnissen von rund 300 Berufen umfasst. Die Rede ist von den Memorialbüchern der Mendelschen und Landauerschen Zwölfbrüderstiftung (12-Brüderhäuser) in Nürnberg, welche vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verfasst wurden. Bis heute gilt die fünf Bücher umfassende Sammlung als umfangreichste serielle Bildquelle zum historischen, vorindustriellen Handwerk in Europa. Mit dem aufkeimenden frühkapitalistischen System wurden schleichend viele gesellschaftliche Leistungsbereiche industrialisiert. Durch das Trennen von Werk und Schöpfer in der industriellen Fertigung entstand eine Orientierungslosigkeit und brachte das Werteempfinden gegenüber dem Handwerk in Schieflage.

Mit Fokus auf das Handwerk als uralte zentrale Idee gemeinsamen Tuns mit gegenwärtigen Ablegern der Share Economy und DIY (do it yourself) Kultur bis hin zu Rufen nach mehr Autonomie, ́begaben sich die Studenten auf die Suche nach Potentialen neuen gesellschaftlichen Miteinanders. „Out of Hands“ entwickelte Ansätze, diese gekappten Beziehungen wieder zusammenzubringen. So entstanden Ideen zu omnifunktionalen Fertigungsgebäuden, die die Idee der 12-Brüderhäuser in das Jetzt transferieren, um die Sozialutopie von damals wiederzubeleben.

Fotos: Albin Ritsch